Das Reich
Kronprinzenpalais Berlin, 2017
Belvedere21 Wien, 2019
Museum Morsbroich Leverkusen, 2020
Kunsthalle Mannheim, 2021
Ludwigforum Aachen, 2023
Für ihre großformatige Installation Das Reich geht Henrike Naumann an einen geschichtsträchtigen Ort: den Bankettsaal des Kronprinzenpalais Unter den Linden, in welchem 1990 der Einigungsvertrag zwischen der BRD und der DDR unterschrieben wurde. Die Unterzeichnung jenes Vertrages nehmen die Anhänger der sogenannten Reichsbürgerbewegung zum Anlass, die Existenz der Bundesrepublik Deutschland anzuzweifeln – es hätte, wie im Grundgesetz 1949 festgeschrieben, ein Friedensvertrag ausgehandelt werden müssen.
Für sie besteht das Deutsche Reich weiter fort. Ihr Weltbild baut auf diesem empfundenen Unrecht gegen das ‚Deutsche Volk‘ auf, sie bitten die Vereinten Nationen um Unterstützung gegen Völkerrechtsverletzungen und sehen sich als bedrohtes indigenes Volk in einem besetzten Land. Sie horten Waffen und Munition für den Tag X, wenn der Endkampf kommt und das Deutsche Reich wiederauferstehen wird.
Was wäre nun, wenn die ‚Reichsbürger‘ recht behalten, die Bundesrepublik sich auflöst und sie die Regierungsgeschäfte übernehmen? Im Bankettsaal entsteht ein dystopischer Ort, zwischen kommissarischer Reichsregierung und völkischer Kultstätte. Die Besucher_innen begeben sich physisch in dieses Weltbild hinein, in dem sich nationalistische Verschwörungstheorien mit persönlichen Schicksalen und den Brüchen der deutschen Geschichte verbinden.
Die Drahtfiguren etwa sind für Naumann eine Metapher für den „kleinen Mann“, auf dem immer alles abgeladen wird. Das passt dazu, dass die Reichsbürger sich in einer Defensive gegenüber dem Staat sehen. […] „Ich präsentiere diese Objekte so wie andere Leute Heilsteine.“ Es geht um die Frage, wie manche Kraft ziehen aus Objekten der deutschen Geschichte. Einen Glauben in Geschichte zu finden. Und sich daraus, wie im Fall der Reichsbürger, einen Parallelstaat aufbauen. Im Großen in Form eines Gedankenkonstrukts – und im Kleinen im eigenen Zuhause.
Alicja Schindler: Nationale Schrankwand, in: der Freitag, 45/2017