2000
Museum Abteiberg Mönchengladbach, 2018
Busan Biennale, South Korea, 2018
Kunstverein Hannover, 2019
MdBK Leipzig, 2019
Pinchuk ArtCentre Kyiv, Ukraine, 2022
Gropiusbau Berlin, 2022
Ludwigforum Aachen, 2023
Warum ist es heute einfacher, einen gewellten Spiegel zu finden als einen geraden? Henrike Naumann legt eine zeitgeschichtliche Archäologie der Hinterlassenschaften der Postmoderne in Deutschland frei. Was macht die Allgegenwärtigkeit postmodernen Designs in Kopie der Kopie im Alltag mit den Deutschen? Welche gesellschaftlichen Auswirkungen hatte der postmoderne Bauboom ab 1990 für das Leben der Menschen in der ehemaligen DDR? Kann man sich durch Möbel radikalisieren? Und wie war das gleich noch mit der Expo 2000 in Hannover, deren Chefin wenige Jahre zuvor als Treuhand-Präsidentin die Abwicklung der ehemaligen DDR-Betriebe verantwortete?
Naumann nimmt das Milleniumsjahr als Ausgangspunkt für eine Betrachtung der 1990er Jahre in Ost- und Westdeutschland und der Nachwirkungen postmodernen Designs auf die deutsche Gesellschaft. Basierend auf ihren Überlegungen verwandelt sich die Große Wechselausstellung des Museums Abteiberg in einen sonderbaren ‚Deutschen Pavillon‘, eine Grabungsstätte, in der die Trümmer der Postmoderne und der Deutschen Einheit versammelt sind. Die Ausstellung bewegt sich zwischen Museum, Messestand, Concept Store, Wohnzimmer und Ruine.
Expo 2000 und Terror 2000, Treuhand und Love Parade, Gerhard Schröder und Dr. Motte, Generation Golf und Möbel Höffner – ein deutsch-deutscher Pavillon gefüllt mit Objekten und Möbelstücken ausgewählt aus dem Archiv der Künstlerin, aus dem Exposeeum Hannover und aus Mönchengladbachs Wohnzimmern. Ihre Videoarbeiten, die auf analogen wie digitalen Videoformaten entstehen, liegen im Raum wie Trümmer aus einer nahen Vergangenheit, die antiken Tonscherben unserer Zeit.
Wenn es stimmt, dass sowas wie ein kollektives Wohngedächtnis existiert — was ist dann in den frühen Neunzigern in den „Neuen Bundesländern“ geschehen? Eine Art gesellschaftlicher Filmriss? […] Je nachdem, wie man darauf schaut, handelt es sich die Postmoderne der Neunziger im Osten oder die Postmoderne der Achziger im Wersten — im einer höchst eigentümlichen deutschdeutschen Verschraubung. Wie Memphis auf Crack. In ihrer Kunst widmet sich Naumann höchst spekulativen Fragen. Bedingen sich Design und Politik? Wie hängen Hedonismus und Pegida-Heimatschutz- Paranoia zusammen? […] Aber auch wenn Naumann im Stil einer Kultursoziologin oder Geschichtsforscherin Texte, Bilder, Sound und Objekte stammt, Bibliotheken und Archive besucht, bleibt ihr assoziativer Zugriff auf das Material doch ein künstlerischer. Ihre Zeitmaschine ist die Kunst. […] Naumanns Kunst ist von einer intellektuellen Analyse der der Gegenwart getragen. Doch ohne ihr besonderes Gespür für das Unsagbare, das sich zeigen lässt, würde es nicht gelingen. Hat sie ein mulmiges Baugefühl oder schreckt sie intuitiv vor dem nächsten Schritt zurück, dann weiß sie, dass die Richtung stimmt.
Kito Nedo: Im toten Winkel der Geschichte, in: art – Das Kunstmagazin, 4/2018
Unsere politische Gegenwart ist voll von Nationalismen, Misogynie, Rassismen und Antisemitismen, die als Normalität anerkannt wurden. Bei Naumann wird diese Normalisierung nicht vorweggenommen, sondern vielmehr zur Disposition gestellt, indem ihre Außengrenzen fragwürdig werden. Als künstlerische Form sind Naumanns Einrichtungen vor allem deshalb so eigen, weil in ihnen trotz aller Dokumentarismen keine ästhetische Wiederholung ent-werteter Leben durchgespielt wird. Vielmehr gibt sie einem Erfahrungsmaterial Form, das der gesellschaftlich privilegierten Autonomie der Kunstsettings andere, weniger privilegierte Formen gesellschaftlicher Abspaltung gegenübertreten lässt: die Isolation nationalistischer Radikalisierung. Dokumentarismen einer radikal ungleichzeitigen Gesellschaft inmitten der Gegenwart. […] Naumann lässt hieraus keinen einfachen Psychologismus folgen, der die Betrachter*in gegenüber dem Gesehenen ins Recht setzt, sondern inszeniert ganz im Gegenteil aus Dokumentarismen unsere Gegenwart als eine zutiefst abgelaufene Zeit, die sich im Konsum der eigenen Restbestände in aggressiven Isolationen verdichtet: eine Landschaft aus wert-losen Leben, deren gesellschaftliche Teilhabe aus der Produktion in die Konsumption verdrängt wurde.
Kerstin Stakemeier: Ausschlusskriterien, in: Texte zur Kunst 111/2018
2000
Spector Books
2000 ist Henrike Naumanns erste umfangreiche Publikation und gibt einen Einblick in die Ausstellungs- und Rezeptionsgeschichte ihrer Werkserie 2000. In der Arbeit untersuchte sie das Jahr 2000 in Deutschland, grub sich durch die Hinterlassenschaften der Expo 2000 in Hannover und ließ in ihrer Version eines Deutschen Pavillons Deutschland symbolisch wieder auseinanderbrechen. Ihre Installation entstand im Museum Abteiberg Mönchengladbach 2018, zog danach von der Busan Biennale in Korea, der Galerie KOW Berlin und dem Kunstverein Hannover bis ins Museum der Bildenden Künste in Leipzig. Dort erschien der Katalog anlässlich der Verleihung des Kunstpreises der Leipziger Volkszeitung 2019 und wurde mit einer Ausstellung im Museum der Bildenden Künste Leipzig begleitet.