Kunst und Krieg
Geschrieben am 17. Februar 2022
Die letzten zwei Wochen war ich hauptsächlich online. Ich hielt den Atem an, während ich die Nachrichten über den eskalierenden Konflikt zwischen der Ukraine und Russland las. Und ich habe mir in den sozialen Medien die Selfies angesehen, die bei den beiden Ausstellungen gemacht wurden, an denen ich derzeit parallel in Kiew und Moskau teilnehme. Ich sehe meine Arbeit als einen Weg, um Kontexte und Grenzen zu überschreiten und an Orten zu kommunizieren, an denen ein Dialog schwierig oder unmöglich ist. Wenn ich sehe, wie sich junge Menschen in beiden Ländern mit den Werken auseinandersetzen, Nachrichten mit mir austauschen und Bilder von Besucher_innen aus dem jeweils anderen Land liken, verstehe ich, warum ich solche Ausstellungen mache – für das Publikum.
Es ist kein einfaches Unterfangen, Menschen an Orten zu erreichen, an denen Isolation, Unterdrückung, politische Unruhen und sogar Krieg herrschen. Ich muss deswegen gründlich abwägen, ob und welche Kompromisse ich für eine solche Ausstellung bereit bin einzugehen. Aber alle Künstler_innen, die jemals an einer internationalen Biennale innerhalb oder außerhalb der „westlichen Hemisphäre“ teilgenommen haben, kennen diese Abwägungen, denn alle Ausstellungen sind mehr oder weniger in die Machtstrukturen des globalen Kapitalismus eingebettet. Fragen der Finanzierung, der politischen Instrumentalisierung und der Macht stehen immer im Raum. Wie lässt sich eine Ausstellung in Ländern realisieren, in denen Menschen unterdrückt, eingesperrt oder umgebracht werden? In Zusammenarbeit mit dem Staat? Mit einem Oligarchen? Oder mit einer deutschen Institution, einem ‚ausländischen Agenten‘?
In Deutschland findet gerade eine hitzige und wichtige Debatte über die selbsternannte „Kunsthalle Berlin“ statt. In einem offenen Brief geben Künstler_innen und Kuratoren_innen einen ausführlichen Einblick in das „System Smerling“ und seine Verflechtung mit Politik und Wirtschaft: Wem gehört die Öffentlichkeit? Außerdem gibt es eine Reihe von gut recherchierten Artikeln zum Thema von Niklas Maak für die FAZ. In der Kritik steht aber nicht nur die sogenannte „Kunsthalle“, sondern auch die Wanderausstellung „Diversity United“, an der ich mit meiner Arbeit „Ostalgie“ beteiligt bin und die zurzeit in Moskau gezeigt wird. Wie viele andere Künstler_innen, habe ich meine Arbeit bereits für weitere Stationen aus der Ausstellung zurückgezogen, wenn auch bis jetzt nicht öffentlich. Aber warum habe ich überhaupt an der Ausstellung teilgenommen, obwohl die politischen Implikationen für alle teilnehmenden Künstler_innen von Vornherein transparent waren?
Die Antworten auf diese Frage sind so vielfältig wie die Künstler_innen, die an der Schau teilnehmen. Eine könnte sein, bei Instagram die Location Новая Третьяковка (Neue Tretjakow-Galerie) einzugeben, wo jeden Tag Hunderte von Bildern mit Werken von Künstlern wie Wolfgang Tillmans, Gilbert & George, Sanja Iveković und Šejla Kamerić geteilt werden. Junge Menschen aus Moskau und ganz Russland posieren vor politischen Werken, die im heutigen Russland äußerst selten zu sehen sind. Diese Besucher_innen sind zwischen den 1990er und 2000er Jahren geboren, sie kennen Russland nur unter Putin. Seit dem Ausbruch der Pandemie vor zwei Jahren ist es ihnen nicht mehr erlaubt, nach Westeuropa zu reisen. Die Kurator_innen in Moskau berichten mir, dass es dem jungen Publikum sehr viel bedeutet diese Werke sehen zu können, aber auch vielen beteiligten Künstler_innen ist diese Ausstellung in Moskau ein wichtiges Anliegen. Einen Weg nach Russland zu finden und dort eine Arbeit zu präsentieren, die sich mit politischen Systemwechseln beschäftigt, war das Ziel meiner Teilnahme an „Diversity United“. Dieses Ziel habe ich erreicht und bin dafür bewusst einen Kompromiss eingegangen.
Die Tretjakow-Galerie ist ein staatliches Museum. Den Kurator_innen gelingt es, unter schwierigen politischen Bedingungen bedeutende internationale Ausstellungen zu realisieren. Es ist wichtig zu verstehen, dass eine moralisierende Verwendung des Namens Putin im Zusammenhang mit einer Ausstellung in Russland in der Konsequenz bedeuten würde, dass es per se unmoralisch ist, ein Werk in einem Museum in Russland auszustellen. Was bedeutet das für mich als Künstlerin? Boykottiere ich das Publikum an Orten der Unterdrückung, wo die Zusammenarbeit mit staatlichen Institutionen mein „sauberes“ moralisches Image als politische Künstlerin beflecken würde?
Diese Ausstellung ist insofern etwas Besonderes, als dass viele Künstler_innen aus dem ehemaligen „Ostblock“ mit ihren Werken teilnehmen. Sie leben und arbeiten in Ländern wie Russland, der Ukraine, Bosnien und Herzegowina, dem Kosovo, Polen oder Bulgarien. Sie haben nicht nur eine gemeinsame sozialistische Vergangenheit, sondern sind sich auch der politischen Verstrickungen von Künstler_innen mit staatlichen Institutionen und politischen Agenden sehr bewusst, vielleicht mehr als solche, die hauptsächlich in westlichen Institutionen arbeiten.
Wie das Kunsthallenfiasko und der offene Brief von Hito Steyerl, Clemens von Wedemeyer und Jörg Heiser sehr sichtbar machen, sind auch diese Institutionen in Macht- und Interessenstrukturen eingebettet. Warum organisieren private Interessengruppen Veranstaltungen in dieser Größenordnung und treten damit als demokratisch nicht legitimierte Akteure der auswärtigen Kulturdiplomatie auf? Welche Alternativen können geschaffen werden, damit in Zukunft Künstler_innen, die sich mit Künstler_innen und Publikum in politisch isolierten oder diktatorisch organisierten Staaten austauschen wollen, dies in einem anderen Rahmen tun können? Wird das Auswärtige Amt seine Politik ändern und ausschließlich direkt mit öffentlich legitimierten Organisationen wie dem Goethe Institut oder dem ifa (Institut für Auslandsbeziehungen) zusammenarbeiten, welche die nötige Expertise für Kunst und Außenpolitik mitbringen? Und würde dies alle zukünftigen Fragen beantworten, die sich Künstler_innen bei jedem Projekt stellen müssen, das sie in Betracht ziehen?
Sich als politische Künstler_in zu definieren, kann mehrere Dinge gleichzeitig bedeuten. Es kann bedeuten, eine zwielichtige Kunsthalle in der eigenen Stadt zu boykottieren, um für die Rechte der Kunstszene auf bezahlbare Ateliers und Ausstellungsräume zu kämpfen. Es kann auch bedeuten, sich für die Möglichkeit einzusetzen, in diktatorischen Systemen inmitten eines Krieges Ausstellungen zu zeigen. Diese Dinge in einen Gegensatz zueinander zu stellen, bei dem Künstler_innen sich entweder für diese oder jene Seite, für uns oder gegen uns entscheiden sollen, verkennt einerseits die Komplexität der Welt, in der wir alle leben und arbeiten. Andererseits könnte die jetzt angestossene Debatte – jenseits von Vereinfachungen und Polarisierungen – neue Wege aufzeigen, wie wir als Künstler_innen die uns umgebenden Machtstrukturen nicht nur kritsieren, sondern aufbrechen können.