CAPITOL JANUARY 6 – REICHSBÜRGER TAG X
Geschrieben am 6. Januar 2023
Heute vor zwei Jahren vibrierte mein Telefon mit Nachrichten und Fotos vom Capitol Hill in Washington, D.C.: „Hast du das kommen sehen?“ Ich war verblüfft, denn ich hatte die Ästhetik der Capitol-Angreifer_innen bereits 2017 in meiner Installation Das Reich über die deutsche „Reichsbürger-Bewegung“ eingefangen. Bis letztes Jahr war ich noch nie in den USA gewesen.
In meiner Installation, die aus Möbeln, Objekten und Video besteht, habe ich eine visuelle Sprache entwickelt, um über die selbsternannten „Reichsbürger“ zu sprechen, die die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland bestreiten. Sie behaupten, dass das Deutsche Reich weiterhin an der Macht ist. Das Reich erzeugte eine dystopische Vision, in der die „Reichsbürger“ das Kronprinzenpalais Unter den Linden in Berlin übernommen und eine Reichsnotstandsregierung mit Möbeln installiert hatten. Die Möbel ordnete ich in einer kultischen Formation ähnlich wie Stonehenge an.
Während des Sturms auf das Capitol am 6. Januar 2021 habe ich viel über dieses Werk nachgedacht. Nicht nur, weil die Ästhetik der Angreifer_innen in Washington im Detail meiner Installation entsprach, sondern auch wegen der Frage, wie man mit einer politischen Bewegung umgeht, deren Ästhetik als „merkwürdig“ bezeichnet werden könnte. Mir ist klar geworden, dass es eine Herausforderung ist, andere von der Gefährlichkeit von Menschen und Bewegungen zu überzeugen, wenn deren Selbstinszenierung komisch, lustig und lächerlich erscheint. Im Fall der „Reichsbürger“ handelt es sich um eine rassistische und gewalttätige Hassbewegung von Verschwörungsgläubigen, die während der Pandemie in ganz Deutschland immer mehr Anhänger_innen fand. Die Ästhetik ist trügerisch.
Im September 2022 eröffnete ich meine Ausstellung Re-Education im SculptureCenter in New York. Ich habe meine künstlerische Praxis aus dem deutschen in den amerikanischen Kontext übertragen. Erstens, weil ich das Gefühl hatte, dass meine Arbeit, die sich mit der „Reichsbürger“-Bewegung in Deutschland befasst, einen neuen Weg ebnen könnte, um in einer künstlerischen Sprache über das zu sprechen, was am 6. Januar in Washington geschah. Zweitens habe ich mich gefragt, wie eine kritische künstlerische Praxis mit der Trump-Präsidentschaft und ihren Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft umgehen kann.
Ein zentrales Werk der Ausstellung, Rustic Traditions, befasst sich mit der Rolle, die Möbel während dem Sturm aufs Capitol spielten. Möbel wurden als Waffen und zur Erstürmung benutzt, während Kongressabgeordnete sich damit in ihren Büros verbarrikadierten oder sich unter ihren Schreibtischen versteckten, um sie als Schutzräume zu nutzen. Ein Angreifer legte seine Füße auf einen Schreibtisch im Büro von Nancy Pelosi und beanspruchte so symbolisch die Macht. Die Dringlichkeit der Ausstellung – die Verbindung der extrem rechten Verschwörungsszenen in Deutschland mit denen in den USA – trat erneut in den Vordergrund, als im Dezember 2022 ein Komplott zum Sturz der deutschen Regierung und zur Errichtung eines neuen „Reichs“ aufgedeckt wurde.
Nach 10 Jahren Forschung über die „Reichsbürger“-Bewegung und nach genauer Betrachtung der Ereignisse vom 6. Januar in Washington, was ist mein Vorsatz für das neue Jahr 2023? Wir müssen Menschen, die Wikingerhörner tragen und rustikale Waffen mit sich führen, ernst nehmen. Wenn wir weiter darüber diskutieren, ob sie eine Bedrohung darstellen oder nicht, werden sie die Regierungsgebäude und Institutionen übernehmen. Und dann wird es zu spät sein.
Photo Das Reich: Ladislav Zajac
Photos Re-Education: Charles Benton